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Sagen aus dem Heinsberger Land


Die Sagen Nr. 2 bis Nr. 8 sind unverändert einer Niederschrift von 1929 entnommen.
(Zum Lesen der Sagen bitte deren jeweilige Überschrift anklicken.)

1.  Die Klosterhofkapelle – Schlangenkapelle

Die Klosterhofkapelle - Schlangenkapelle

Die Klosterhofkapelle ist ein kleiner barocker Ziegelbau des 17.-18. Jh. Als Abschluss des Chores ist ein Holzgitter von 1787 mit Rankenwerk und geschweiften Sturz, darauf das Chronogramm:

reX  InCreatae  MajestatIs,  qVI  saLVanDos  saLVas  gratIs,  saLVa  nos  fons  pIetatIs  MDCCLXXXVII

Die Kapelle gehörte zum Gut Klosterhof. Eine stattliche Hofanlage des 18. Jh. An dem Wohnhaus war die Jahreszahl 1764. Die Klosterhofanlage gehörte, bis zur Enteignung durch französische Truppen unter Napoleon 1802, zum Adligen Damenstift auf der Hochstrasse, derens Gebäude am 16.11.1944 zerstört wurde. Heute befindet sich dort die Kreissparkasse.
 

Die Sage

Die Franzosen gaben den Befehl die Kapelle abzubrechen. Als die Arbeiter mit dem Abriss beginnen wollten, kamen Schlangen aus dem Boden gekrochen, die Arbeiter gerieten in Panik und flüchteten. Dadurch blieb die Kapelle erhalten und heißt seit dem im Volksmund Schlangenkapelle.

Quelle:  Kunstdenkmäler der Rheinprovinz Kreis Heinsberg., Paul Clemen, 1905


2.  Wie Johann I zum Heiligen Lande reiste

Wie Johann I zum Heiligen Lande reiste

(nach Lückerath: Die Herren von Heinsberg).

Johann von Heinsberg, der auch der Streitbare genannt wird, gelobte einst, da seine Gemahlin Margaretha von Gennep an schwerer Krankheit darniederlag, er wolle nach Jerusalem pilgern, wenn sie wieder gesund würde. Margaretha genas, und Johannes hielt sein Gelübde. Im Jahre 1409 reiste er gen Süden, bestieg in Venedig ein Schiff, um über Meer nach Jerusalem zu kommen. Aber eines Tages wurde das Schiff von türkischen Seeräubern überfallen. Johannes selbst wurde, nachdem mannhaft gestritten hatte, gefangen genommen und nach Tripolis geschleppt. Auf dem Markte dort wurde er als Sklave feilgeboten, und der Hausmeister des Sultans kaufte ihn.

Der Sohn des Sultans litt an einer schweren Krankheit. Levi, der Arzt, sollte nach Europa reisen, um dort ein seltenes Kräutlein zu suchen, dessen Saft allein den Kranken zu heilen vermöchte. Johannes hörte davon und ließ den Arzt wissen, das dieses Kräutlein auf den Wiesen seiner Heimat zwischen Rur und Wurm zu finden sei. Er beschrieb den Ort genau und bat den Arzt, den Seinen Kunde von seinem Schicksal zu geben. Das tat dieser gerne, und als er mit den Kräutern wiederkehrte, brachte er dem Gefangenen auch ein Brief von seinem Weibe mit.

Der Heiltrank ließ den Sultanssohn bald von seiner Krankheit genesen. Aber eine düstere Schwermut sollte nicht von ihm weichen. Nun war mit dem Arzt ein fränkischer Harfenspieler namens Engelbert an den Hof des Sultans gekommen. Der schlug die Harfe gar wonnesam und sang so schön, daß die Schwermut bald von dem Prinzen wich. Des freute sich der Sultan; er belohnte Engelbert mit Gold und Geschmeide. Doch Engelbert verteilte diese Dinge unter die Gefangenen des Sultans, so daß dieser sich sehr wunderte. Da er nun fragte, womit er den Sänger erfreuen könne, erbat sich dieser als einziges Geschenk die Freilassung des Johannes. Das gewährte der Sultan gern. Engelbert zog nun mit Johannes unter dem sicheren Geleit des Sultans ins Heilige Land. Sie beteten an den Stätten, wo der Heiland geboren und gekreuzigt wurde. Dann wandten sie sich wieder der Heimat zu. In Venedig trennten sie sich, und sie schwuren, einander nie zu vergessen. Engelbert wollte nach Rom, um am Grabe des heiligen Petrus ein frommes Gelübde zu erfüllen.

Als Johannes wieder auf seiner Burg zu Heinsberg erschien, freuten sich alle Leute in Stadt und Land. Doch er ward selbst nicht froh, denn sein Weib hatte damals, als der Arzt abreiste, die Burg verlassen, und niemand wußte, wo sie weilte. Da geriet er in einen fürchterlichen Zorn, und er verfluchte sein Weib, den er glaubte nichts anderes, als daß sie böslich verlassen habe.

Eines Abends klopfte noch spät ein fahrender Sänger ans Burgtor. Gastlich wurden ihm Tor und Tür geöffnet. Und siehe , da er in die Halle schritt. Erkannte Johannes seinen Freund und Retter Engelbert. Und da er Hut und Mantel ablegte Die Burgfrau von Heinsberg. Sie war, als Mann verkleidet, ins Mohrenland gezogen und hatte ihren Mann befreit. Und sie lebten noch lange glücklich miteinander.

Als sie gestorben waren, legte man sie in ein prächtiges Hochgrab und später auch die Söhne. Das Hochgrab kannst du heute noch in der Heinsberger Hochkirche sehen und darauf die Steinbilder derer, die darin begraben sind.


3.  Johann von Heinsberg bei der Krönung König Sigismunds

Johann von Heinsberg bei der Krönung König Sigismunds

Im Jahre 1414 wurde König Sigismund zu Aachen feierlich gekrönt. Zu dem Fest waren Fürsten und Herren aus dem ganzen weiten Reich mit Mann und Roß, mit Prunk und Pracht erschienen. Auch Herr Johann von Heinsberg fehlte nicht. Darüber erzählt uns der Jesuitenpater Kritzraedt von Gangelt, der ein berühmter Geschichtsschreiber gewesen ist, folgende lustige Geschichte:

Schon saß der König mit der Königin und vielen vornehmen Herren zu Tische in dem prächtigen Krönungssaal des Aachener Rathauses. Da hörte man plötzlich von unten herauf den klingenden Hufschlag vieler Rose und das muntere Getön schallender Trompeten. Und da der König frug, was das bedeute, sagte man ihm, dat der here van Heinssberg zu Aichen die pontstraisse op quam reiden over den mart en hat einen feinen houf ruitter wel gerüst.

Da stand der König vom Mahle auf und mit ihm die Königin, und sie traten an die Fenster des hohen Saales. Da sahen sie den Aufzug des Herrn von Heinsberg. Fünfzehn stolze Hengste trabten da in einer Reihe, einer hinter dem anderen, aber mit größerem Abstand. Denn der eine Hengst schloge, der andere sprank, der derde ginge hier en daer, der vierde bisse van großer welden. Auf jedem Hengst saß ein Edelknabe. Alle trugen gleiches Gewand und eine wallende Feder auf ihrem Hute, wie man es damals liebte. Zuletzt aber von allen ritt Herr Johann mit seinen besten Mannen.

Nach dem Mahle sollten alle Fürsten und Herren auf offnem Markt dem König huldigen und ihr Land als Lehen empfangen von seiner Hand. Johann aber weigerte sich dessen, indem er sagte, daß er nur Gott als seinen Lehensherrn anerkenne. Und er warf einige Stücke Goldes unter das gaffende Volk; das gab er hin um Gottes willen. Da zürnte der Kaiser und befahl, dem stolzen Mann in der Herberge weder Holz noch Wasser zugeben, daß er kein Mahl rüsten könne für sich und seine Mannen. Doch darüber lachte der Trutzige. Er sandte seine besten Reiter nach Heinsberg. Und ehe die Tore der Stadt geschlossen wurde, waren sie schon zurück und brachten Wein und Nüsse mit. Mit den Nüssen nährten sie das Feuer, mit dem Wein kochten sie. Die Diener des Königs kamen neugierig herbei, um zusehen, was die Heinsberger trieben. Sie scharrten sich die Nüsse aus dem Feuer und aßen sie. Da klagte Johann beim König, daß dessen Diener ihm die Kohlen aus dem Feuer gegessen hätten. Als der König die ganze Sache erfuhr, lachte er sehr und vergaß seinem Grimm, zumal er ja auch bei dem Sohn des Heinsbergers, der in Aachen Dompropst war, zu Gast war.

Sigismund sandte dem Heinsberger eine kostbare Kappe zum Geschenk. Johann bedankte sich und sagte dem König: Herr König, ihr habt mir eine kostbare Kappe geschenkt; ich habe daheim auch eine Kappe, aber der Zimb darauf ist besser. Der König wünschte diese Kappe zusehen. Johann aber meinte, dann müsse der König mit nach Heinsberg reisen. Denn dort habe er einen großen Busch zwischen Brachelen und Ratheim, die Kapp geheißen und einen kleinen bei Dremmen mit dem Namen Zimb (Tömp). Der König aber freute sich über den witzigen Mann und hatte ihn gerne um sich, solange er in Aachen war.


4.  Johannes des Streitbaren Ritt gegen Aachen

Johannes des Streitbaren Ritt gegen Aachen (1429)

Im Jahre 1428 herrschte ein wilder Hader in der freien Reichsstadt Aachen. Da stritten die vornehmen Geschlechter mit den Zünften der Handwerker und Weber um die Macht in der Stadt. Die Zünfte aber siegten, setzten den alten Rat ab und wählten neue Ratsherren aus ihren Reihen. Da waren die Patritzler, also die Edlen und Vornehmen, in arger Bedrängnis. Sie sandten Boten an Johann von Heinsberg und baten ihn, ihnen beizustehen, und das wollten sie ihm reichlich lohnen. Davon singt ein altes Aachener Gedicht aus dem 15. Jahrh.:

Edelen her, nu stent uns bi;
wi fil das das geldes si,
das daran wirt gelacht,
des han wir kein acht,
des wollen wir auch gerne geben,
von der Gemeinde wollen wirz heben,
das han wir uch gedacht,
und stent uns bi in der nacht.

Und Johann versprach, mit einigen seiner Freunde den Aachener Patriziern zu Hilfe zu kommen.

Im Monat September 1429 reisten viele Mannen des Heinsbergers als Pilger verkleidet nach Aachen und nahmen Herberge bei den Vornehmen und in einigen Gasthäusern. Vorerst hielten sie sich still. Aber heimlich wurden die Sperrketten unbrauchbar gemacht, mit welchen man die Straßen bei plötzlichen Überfälle absperrte. Auch verschafften sich die Patrizier die Schlüssel des Ponttores.

Die Nacht vom 1. zum 2. Oktober war gekommen. Eine dunkle stürmische Herbstnacht. Da rückten die Heinsberger heran durch das Wurmtal mit Ross und Reistigen und umzingelten die Stadt. Zwei Stunden nach Mitternacht öffnete sich leise das Ponttor. Mit lautem Geschrei stürmten die Heinsberger die Pontstraße hinauf zum Markt. Sie hatten das Rathaus besetzt, ehe sich noch einer zur Wehr setzen konnte. An allen Straßenecken aber hielten die falschen Pilger die Wacht und schlugen alle Vordrängenden zurück. Sie hatten auch die Stadttore besetzt, so das keiner entrinnen konnte. Wohl versuchten einzelne sich zur Wehr zusetzen, aber das büßten sie mit dem Leben. Nur an der Jakobskirche sammelte sich eine kleine Schar. Doch das scharfe Schwert der Heinsberger schlug alle nieder.

War da auch Heinrich der Jackenstricker, unter den Leuten der Zünfte. Auch ihn traf man mit einem Spieß in der Hand, und er wurde gefangen und vor Johann von Heinsberg geführt. Als der arme Schelm den Herrn sah, ging ein Strahl guter Hoffnung durch seine Seele, denn er hatte schon mehrmals dem Herrn Johann von Heinsberg ein Gewandt geliefert und hoffte deshalb, daß dieser ihm das Leben lassen würde. Er fiel ihm zu Füßen und bat ihn um sein Leben, wie es im Gedichte heißt:

Ich macht euch ein secke mit hirssen arrmen
die stund uch schon und herlich;
edeler her, erbarmet uch uber mich
und laud mir heut zutage das leben;
was ich gutes han zu geben,
das nement alle in ever gewalt
durch die fruntschaf manigfalt,
die ich mit uch han gehat,
und wisent mich nacket fur die stat
und lat mir hude das leben,
alles min gut will ich geben.

Johann aber verschmähte sei Hab und Gut und erbarmte sich seiner nicht; sondern er sprach:

Du in selt leben nummer kein dag
du mmust allhie sterben
und hettestu alle die welt zugeben.

So mußte also der arme Jackenstricker sterben.

Nachdem die Patrizier wieder die Herrschaft an sich gerissen hatten, wurden die Heinsberger Helfer noch eine Woche lang üppig bewirtet, und Johann steckte gar sein Banner am Rathaus aus.


5.  Die Sage von der Vonge-Laak und das Heinsberger Marienfest

Die Sage von der Vonge-Laak und das Heinsberger Marienfest

Zwischen Schafhausen und Unterbruch breitete sich ehedem unwegsames Bruch aus mit vielen fischreichen Tümpeln, der Hülhofener Busch genannt. Mannshohes Röhricht umgab die Gewässer, Wildenten brüteten im Schilf, und Reiher horsteten auf den Bäumen. Heute teilt ein Graben die Gemarkung zwischen Schafhausen und Unterbruch, die Umgebung des Grabens heißt Vonge-Laak. Wie dieser Flurnamen entstand, erzählt folgende Sage.

Im Burggarten der Heinsberger Burg schoß an einem schönen Maitage das Söhnlein des Ritters mit Pfeilen nach einer hölzernen Taube. Da sah es einen Reiher mit frohem Ruf über die Burg dem Bruch zufliegen. In dem Büblein stieg der Wunsch auf, auch einmal einen so stolzen Vogel zu schießen. Deshalb schlich er sich heimlich aus der Burg.

Frohgemut schritt er zur Stadt hinaus, den Bolzbogen auf der Schulter. Es freute sich schon der schönen Reiherfedern, mit denen es sein rotsamtnes Barettlein zieren wollte.

Der Abend kam und die Nacht. Vergebens suchten Mutter und Mägde das Knäblein in allen Räumen der großen Burg. Kein Ecklein blieb undurchforscht. Reiter sprengten auf allen Straßen. Sie holten die Bauersleute aus den Betten und selbst die Kinder und fragten sie, ob sie nicht ein Knäblein gesehen hätten mit blondem Haar und rotem Barett.

Am anderen Morgen kamen die Buben zur Stadtschule. Da wußte einer, daß das Jünkerlein vor Abend mit seinem Bolzbogen ins Bruch gewandert sei. Alsbald zog der Lehrer mit den Knaben nach inbrünstigem Gebet hinaus ins Bruch. Hier fanden sie endlich nach langem den Knaben friedlich schlafend unter einem Weidenbaume. Mit Jubeln brachten sie ihn zur Burg. Als sie durch die Stadt zogen schwenkten sie grüne Maien in den Händen wie Fähnlein und sangen gar fröhlich.

Nach einigen Tagen lud die dankbare Burgherrschaft alle Kinder zu einem fröhlichen Fest in den Burghof. Und wie die alte Sage meldet, waren auch die Kinder des Dremmener Kirchspiels dabei, denn auch die hatten in Busch und Bruch den Knaben gesucht. Da wurde nun allen süßes Honigbier gereicht; süße Brezeln standen in großen Körben bereit. Jeder konnte essen so viel er wollte.

Aus diesem schönen Fest wuchs ein löblicher Brauch, der viele Jahrhunderte hindurch gehalten wurde. Alle Jahre, am dritten Donnerstag im Mai, wurde in Heinsberg das Maienfest gehalten. Dann zogen die Kinder in frohem Zuge nachmittags mit ihren Lehrern durch die Stadt. Alle trugen Maien in den Händen, die im Hülhofener Busch geschlagen wurden waren. Die Maien waren mit mancherlei Maiblumen geschmückt. Am Fuße des Burgberges wurde der festliche Zug von den Stiftsherren des Gangolphusstiftes in Empfang genommen. Nachdem einige Lieder gesungen waren, zogen alle in die große, gefegte Zehntscheune, wo die Wände mit den Maien geschmückt wurden. Dort in der Scheune wurde nun das Maienfest gefeiert. Jeder Knabe durfte seine Schwester oder ein Nachbarskind herbeiführen. Und nun wurde gesungen und gesprungen nach Herzenslust. Braunes Bier und süße Brezeln wurden fleißig angeboten. Als die Herren von Heinsberg schon längst nicht mehr waren, wurde die Bewirtung durch die Jülicher Herzöge ausgeübt. Erst die französische Revolution machte dem schönen Brauch ein Ende.

Die Umgebung jenes Grabens heißt bis heute noch die Vonge-Laak, weil man dort den Jungen vong, d. h. fand. Laak bedeutet soviel wie wasserreiche Niederung.  (Dort wurde das sogenannte Vonge-Laak Kreuz auf gestellt.)


6.  Die Grenzschänder zu Pütt

Die Grenzschänder zu Pütt

Im Dorfe Pütt der Erzdiözese Köln war ein Bauer namens Heinrich. Als es mit ihm zu Ende ging, erblickte er über sich einen großen, glühenden Stein. Der Sterbende litt unter der Hitze, welche der Stein ausströmte, ganz entzetzlich und brüllte: Seht doch, seht doch! Der Stein über meinem Kopfe wird mich noch ganz verbrennen! Man holte einen Priester, der Mann beichtete, aber es half nichts. Da sagte der Geistliche: Besinn dich doch noch einmal, ob du nicht jemand durch einen Stein geschädigt hast! Jener besann sich und erwiderte dann: Ich erinnere mich, daß ich, um meine Aecker zu erweitern, einen solchen Stein auf das Grundstück eines meiner Nachbarn gerückt habe.

Jetzt wissen wir die Ursache der Erscheinung! antwortete der Priester. Der Mann beichtete noch einmal und versprach Genugtuung, und sofort war er von jenem schrecklichen Gesichte befreit.

Nach:   Kaufmann, Wunderbare und denkwürdige Geschichten des Cäsarius von Heisterbach in den  Annalen d. hist. Vereins f. d. Niederrhein (Heft 47 u. 53)




7.  Vom Feuermann

Vom Feuermann

(Nach P. A. Tholen, Heimat IV. 15.)

Der Bauer Andres aus Broichhoven bei Breberen brach einst noch in dunkler Nacht auf, um an den Kohlenzechen der Wurm den Winterbrand zu holen. Im Gillrather Bruch sprang ihm ein Rad von der Achse. Da war guter Rat teuer, denn um das Rad wieder einzusetzen, mußte ihm jemand die Karre heben. Da er noch hin und her überlegte, sah er aus der Ferne einen Vüermann heranziehen, der der zuletzt die gestürzte Karre umschwebte. In seiner Not faßte sich Andres ein Herz und sprach zum dem Vüermann : Helbt mech doch jefälles en Hand! Und siehe, der Vüermann hob die Karre auf, als sei es ein Spielzeug, und Andres konnte jetzt leicht wieder das Rad auf die Achse schieben und den Radnagel, die Lünne, vorstecken. Als alles wieder in Ordnung war, da sprach er zu dem Vüermann: Gott luen et Üch! Da ertönte ein lauter Freudenschrei durch die Nacht. Der Vüermann schrie: Nun bin ich erlöst! Ich war eine arme Seele, und ich sollte solange als Feuermann herumgehen, bis mir einer ein gutes Wort gäbe. Das war die Strafe dafür , daß ich auf Erden so oft geflucht habe. Nun bin ich erlöst! Die Flammen erloschen, und eine weiße Gestalt entschwand in den Lüften. Andres aber setzte seinen Weg fort. Zeitlebens aber ermahnte er Kind und Kindeskind, niemals zu fluchen, damit sie nicht auch einst nach ihrem Tode als Vüermann umgehen müßten.


8.  Der Gangelter Muhrepenn

Der Gangelter Muhrepenn

An des Deutschen Reiches Grenze, zwischen Rur und Maas, liegt ein stilles Ländchen; den Selfkant nennt man es seit alter Zeit. Windmühlen heben sich dort, und Kirchtürme ragen empor, denn fleißige, fromme Bauern wohnen dort und bauten die Windmühlen und die Kirchen. Aber auch Städtchen bauten sie und umgürteten sie mit guter Wehr, mit Wall und Graben und Mauer, gaben ihnen auch Tor und Turm, Brücke und Burg. Der Städtlein eines ist Gangelt, und mit dem Gangelter Muhrepenn ist das so:

Es war Gangelt in alter Zeit ein reich und wehrhaft Städtlein mit tiefen Gräben, mit starken Mauern und festen Toren. Auch eine Burg erhob sich dort und manch stattlicher Turm, darauf goldene Knäufe blitzten, so das man das Städtchen „Gangold“ nannte. Einst kam fremdes Kriegsvolk aus Brabant, um das Städtchen zu erobern und die Schätze der Bürger zu rauben. Aber der Torwächter war auf der Hut. Er gewahrte das Blitzen der Waffen und Wehren in der Ferne und blies ins Horn.

Schnell wurden die Tore geschlossen, aber in der Eile fand man den Penn (Riegel) eines Tores nicht. Es wäre wohl recht schlimm geworden; denn schon hörte man das Schnaufen der feindlichen Streithengste und das Klirren der Waffen. Da brachte eine Magd eine Möhre, und eilg steckte man sie statt des Penns vor das Tor.

Hinter der Mauer und Tor standen die Bürger und schossen manchen der Feinde mit sicherem Pfeil, also das diese flohen. Voll Freude über ihren Sieg zogen die Bürger in die Herbergen und sangen bei vollen Krügen frohe Lieder. Auch der Torwächter fehlte nicht dabei.

Da geschah es, daß die Gänse des Städtleins zum Tore zogen, um sich vor Abend auf der grünen Wiese vor den Mauern zu ergehen. Sie schnatterten verdrießlich, als das Tor verschlossen war. Da entdeckte ein Gänserich die Möhre am Tor. Er fraß davon und die anderen Gänse halfen ihm dabei, bis nicht ein Stücklein mehr übrig war. Da tat sich dann das Tor auf, und die Gänse zogen hinaus. Keiner der Bürger gewahrte das Unheil.

Aber die Feinde kamen hervor aus den Büschen, als die Nacht herniedersank. Sie schlichen durch das offene Tor in die Stadt, und bald loderten die Flammen an allen Enden. Da griffen die Bürger zu den Waffen. Aber in ihrem Schrecken und in ihrer Trunkenheit zog einer das Schwet wider den anderen. Die Feinde erschlugen ihrer viele und plünderten in den Häusern.

So ward alle Freude in Trauer verwandelt, und zum Schaden hatten die Bürger auch noch den Spott, denn im ganzen Land nannte man die Gangelter seitdem Muhrepenn!



Quelle für die Sagen Nr. 2 bis Nr. 8:   Selfkantgut 1, Folge: Sagen
Herausgeber:  Schulrat Kröger, Heinsberg und Hauptlehrer Spehl, Hülhoven
Verlag: H. Wahlen / Druck. P. W. Joppen, Heinsberg 1929